Paludikultur
Der Klimawandel und die Degradation unserer Ökosysteme erfordern innovative Lösungen für die Landbewirtschaftung. Unter diesen tritt die Paludikultur als vielversprechender Ansatz hervor, der eine nachhaltige Alternative zur konventionellen Landwirtschaft auf Moorböden bietet (Interreg VB North Sea Region Programme, o. J.; Wetlands International, 2021).
Was ist Paludikultur?
Der Begriff „Paludikultur“ (vom lateinischen palus, was Sumpf bedeutet) bezeichnet die produktive Nutzung von nassen und wiedervernässten Mooren (Wetlands International, 2021). Im Gegensatz zu traditionellen landwirtschaftlichen Praktiken, die eine Entwässerung der Moore erfordern (Williams, 1990b), was zur Bodendegradation und erheblichen Treibhausgasemissionen führt, zielt die Paludikultur darauf ab, einen hohen Wasserstand aufrechtzuerhalten — idealerweise nahe oder über der Bodenoberfläche —, um den Moorkörper und die damit verbundenen Ökosystemdienstleistungen zu erhalten (Greifswald Moor Centre, o. J.; Interreg VB North Sea Region Programme, o. J.; Wetlands International, 2021). Dies kann die Ernte von spontaner Vegetation oder den Anbau von spezifischen Pflanzen, die an feuchte Umgebungen angepasst sind, umfassen (Interreg VB North Sea Region Programme, o. J.).
Warum ist sie entscheidend? Herausforderungen und Lösungen
Historisch gesehen wurden weite Teile der Moore für Landwirtschaft, Forstwirtschaft oder Torfabbau entwässert (Williams, 1990b). Diese Entwässerung hat große Umweltauswirkungen:
- Treibhausgasemissionen (THG) : Entwässerte Moore setzen erhebliche Mengen an CO2 und N2O in die Atmosphäre frei und tragen so zum Klimawandel bei (Pärn et al., 2018; Taft et al., 2017). Die Kohlenstoffemissionen durch die Umwandlung von Mooren in Ackerland auf der Nordhalbkugel erreichten zwischen 850 und 2010 72 Milliarden Tonnen (INRAE, 2021).
- Bodenabsenkung (Subsidie) : Das Austrocknen von Torf führt zu dessen Abbau und einer Absenkung des Geländes, wodurch das Land langfristig für die konventionelle Landwirtschaft ungeeignet wird (Nieuwenhuis & Schokking, 1997; Wetlands International, 2021).
- Verlust der Biodiversität : Die Entwässerung zerstört diese wertvollen Lebensräume (Ouvrage collectif, 2021).
Die Paludikultur begegnet diesen Herausforderungen durch:
- Drastische Reduzierung der THG-Emissionen : Durch das Nasshalten der Böden minimiert sie den Torfabbau und die Emissionen von CO2 und N2O, während sie gleichzeitig die Kohlenstoffbindung ermöglicht (Gini & Piva, 2019; Greifswald Moor Centre, o. J.; Heinrich Böll Foundation, o. J.; Wetlands International, 2021). Eine Reduzierung von 15 bis 30 Tonnen CO2-eq pro Hektar pro Jahr ist im Vergleich zu den gängigen landwirtschaftlichen Praktiken auf entwässerten Mooren möglich (Gini & Piva, 2019).
- Erhaltung der Biodiversität : Sie schafft Lebensräume für seltene und bedrohte Arten wie brütende Vögel, Amphibien und kleine Säugetiere (Ouvrage collectif, 2021). Paludikulturvögel werden beispielsweise durch die Schilfkragen begünstigt, die in den Bewässerungs- und Entwässerungsgräben wachsen (Mallet et al., 2022).
- Verbesserung der Wasserqualität und -retention : Paludikulturpflanzen können Wasser reinigen, indem sie Schadstoffe wie Stickstoff und Phosphor einfangen (Gini & Piva, 2019; Bolpagni et al., 2003). Sie tragen auch zur Wasserregulierung bei und verringern so das Risiko von Überschwemmungen und Dürren (Blöschl et al., 2019).
Pflanzen und Produkte der Paludikultur
Paludikultur ermöglicht die Produktion verschiedener erneuerbarer Ressourcen:
- Lebensmittel und Futtermittel : Einige Pflanzen wie Schilf (Phragmites) oder Rohrkolben (Typha) können als Tierfutter verwendet werden (Mulholland et al., 2020). Auch die Brennnessel (Urtica dioica) ist ein potenzielles Anbauprodukt (Mulholland et al., 2020).
- Baumaterialien und Fasern : Schilf wird traditionell für Strohdächer verwendet und kann zur Herstellung von Dämmplatten dienen (Gini & Piva, 2019; Lacep, o. J.). Rohrkolben (Typha) wird ebenfalls für Bau- und Dämmstoffe in Betracht gezogen (Mulholland et al., 2020).
- Bioenergie : Die aus der Paludikultur gewonnene Biomasse (Schilf, Rohrkolben, Erle, Kanariengras) kann zur Produktion von Biogas, festen Brennstoffen (Briketts, Pellets) oder für Wärme durch direkte Verbrennung verwendet werden, wodurch fossile Brennstoffe ersetzt werden (Autorenkollektiv Greifswald, 2009; FiBL Schweiz, o. J.; Gini & Piva, 2019; Mulholland et al., 2020).
- Gartenbau : Der Anbau von Torfmoos (Sphagnum farming) liefert einen hochwertigen Rohstoff für torffreie Kultursubstrate (Mulholland et al., 2020).
- Andere Verwendungen : Biomasse kann auch für biobasierte Chemikalien (pharmazeutische Produkte, Kosmetika, Biokunststoffe) (Gini & Piva, 2019) oder für Aktivitäten wie extensive Viehzucht (z. B. Wasserbüffel zur Landschaftspflege) verwendet werden (Greifswald Moor Centre, o. J.).
Herausforderungen und Perspektiven für Bodenexperten
Der Übergang zur Paludikultur stellt einen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft dar, der erhebliche Anpassungen erfordert (Greifswald Moor Centre, o. J.).
- Technische und operative Herausforderungen : Die Umsetzung erfordert oft Bauarbeiten zur Anhebung des Wasserstands, die Anschaffung neuer Geräte, die an feuchte Böden angepasst sind (Niederdruckfahrzeuge), und die Entwicklung neuer Ernte- und Verarbeitungsmethoden (Geurts & Fritz, 2018). Es können auch Risiken feuchtigkeitsbedingter Schäden an der Infrastruktur auftreten, die jedoch durch gute Planung und strukturelle Anpassungen minimiert werden können (Greifswald Moor Centre, o. J.).
- Politischer und wirtschaftlicher Rahmen : Es ist entscheidend, klare Agrarpolitiken und finanzielle Anreize (Subventionen, Flächenzahlungen) festzulegen, um Landwirte zur Einführung der Paludikultur zu ermutigen (Geurts & Fritz, 2018; Heinrich Böll Foundation, o. J.; Interreg VB North Sea Region Programme, o. J.). Die Schaffung lebensfähiger Märkte für Paludikulturprodukte ist ebenfalls unerlässlich, um deren Rentabilität zu gewährleisten (Heinrich Böll Foundation, o. J.). Der Verkauf von „Kohlenstoffzertifikaten“ kann zusätzliche wirtschaftliche Vorteile bieten (Gini & Piva, 2019). Es bestehen jedoch weiterhin Zweifel an der wirtschaftlichen Machbarkeit und politischen Klarheit, was die langfristige Planung für Landbesitzer und -nutzer erschwert (Greifswald Moor Centre, o. J.; Interreg VB North Sea Region Programme, o. J.).
- Soziale Akzeptanz : Der Übergang zur Paludikultur kann als Verlust von produktivem Land oder vertrauten Landschaften wahrgenommen werden (Greifswald Moor Centre, o. J.). Das Bewusstsein und die Beteiligung lokaler Gemeinschaften sind von grundlegender Bedeutung, um diese Vorbehalte zu überwinden und die Entstehung integrierter territorialer Projekte zu fördern (Greifswald Moor Centre, o. J.).
Trotz dieser Herausforderungen bietet die Paludikultur ein erhebliches Potenzial für die Entwicklung einer nachhaltigeren und widerstandsfähigeren Landwirtschaft (Geurts & Fritz, 2018; Greifswald Moor Centre, o. J.). Sie ermöglicht es, landwirtschaftliche Produktion mit Umweltschutz in Einklang zu bringen und trägt so sowohl zum Kampf gegen den Klimawandel als auch zur Wiederherstellung der Biodiversität bei (Geurts & Fritz, 2018). Die Zusammenarbeit zwischen Landwirten, Naturschutzmanagern, Forschungseinrichtungen und politischen Entscheidungsträgern ist der Schlüssel zum Erfolg und zur Verbreitung dieser wesentlichen Praxis.
Referenzen
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